Im letzten Jahr der Bilanzierungshilfe weist der städtische Jahreshaushaltsabschluss ein positives Ergebnis von 5,9 Mio. Euro auf. Ohne das Instrument des NKF-Isolierungsgesetzes wäre dies nicht möglich gewesen. Fotos: AG/Archiv
von Alex Grün
Kamen. Kämmerer Christian Völkel brachte auf der letzten Sitzung des Rates der Stadt Kamen den städtischen Haushaltsjahresabschluss für das Wirtschaftsjahr 2023 ein - den letzten, der unter der Prämisse der während der Corona-Pandemie 2020 eingeführten und mit dem Haushaltsjahr 2023 aufgrund der Belastungen infolge des Kriegs gegen die Ukraine ausgeweiteten Bilanzierungshilfe nach dem Isolierungsgesetz im Rahmen des Neuen Kommunalen Finanzmanagements erstellt wurde. In den Produktplänen für die kommenden Jahre wird das außerordentliche Ergebnis keine Rolle mehr spielen. Das bedeutet unter anderem, dass den Haushalten der nächsten 50 Jahre jährliche Abschreibungen von 449.000 Euro bevorstehen. Der Jahresabschlussentwurf wurde einstimmig vom Rat angenommen.
Im November letzten Jahres stellte Kämmerer Christian Völkel Bürgermeisterin Elke Kappen und den Mitgliedern des Rats Haushaltssatzung, Produkthaushalt und Stellenplan für 2024 vor.Zum letzten Mal nach drei Jahren konnten Erträge in Höhe von 6,9 Mio. Euro isoliert werden, mehr als drei Mio. Euro als im vergangenen Jahr, wobei die Einkommenssteuer und die Schlüsselzuweisungen wie immer die prägenden Positionen auf Ertragsseite waren. Vom positiven Jahresergebnis von 5,9 Mio. Euro solle man sich also nicht täuschen lassen, so Kämmerer Völkel. Denn dieses Ergebnis sei ausschließlich durch die außerordentliche Verbuchung der Corona- und Kriegsschäden, also der Mehraufwendungen beziehungsweise Mindereinnahmen im Zusammenhang mit den Krisen, in Höhe von fast acht Mio. Euro möglich gewesen. In der Planung für 2023 sei man lediglich von Schäden in Höhe von 6,8 Mio. Euro ausgegangen, aber dann wäre es zu einem negativen Jahresergebnis von 2,1 Mio. gekommen. "Dann hätten wir schon bei diesem Jahresabschluss auf unsere Ausgleichsrücklage zurückgreifen müssen", so Völkel. Es sei "schon bemerkenswert und verdeutlicht noch einmal die angespannte Finanzlage der Stadt Kamen, dass die Schäden in ihrer Höhe einen absoluten Höchstwert erreichten", sagt Völkel - und das auch noch in dem Jahr, in dem das Instrument der Bilanzierungshilfe erstmals entfalle. Auch das erneute Rekordergebnis des Gewerbesteueraufkommens, der prägendsten Position bei der Betrachtung des operativen Jahresergebnisses und mit 23,3 Mio. Euro 3,8 Mio. Euro höher als in der Planung vorgesehen, hätte nicht bewirken können, dass die Stadt ohne die Schäden ein positives Ergebnis erreicht hätte, so Völkel. Die Entscheidung zur Anhebung der Grundsteuer stehe also zum vermeintlich positiven Jahresergebnis keineswegs im Widerspruch: Es gebe mit Blick auf die Entwicklung im derzeitigen Produktplan zahlreiche Punkte, die diese Einschätzung aus fiskalischer Sicht angesichts der Mindererträge argumentativ stützten, so Völkel. Allerdings würde die Anhebung der Grundsteuer alleine schon von der zeitgleichen Anhebung der Kreisumlage aufgefressen, dennoch ist er überzeugt, dass die Maßnahme "hinsichtlich Höhe und Zeitpunkt absolut richtig war und letztlich noch mehr Schaden von der Stadt Kamen abgehalten hat", ist Völkel überzeugt.
Zu den Mindereinnahmen zählt auch ein Einbruch beim Gemeindeanteil der Einkommenssteuer, die sich auf 816.000 Euro belief. Die nachlassende Konjunktur sowie Tarifabschlüsse, bei denen verstärkt das Instrument der steuerfreien Inflationsausgleichsprämie angewandt wurden, hätten zu einem relativ starken Einbruch in diesem Bereich geführt, erklärt der Kämmerer. Weitere Mindererträge habe es unter anderem im Bereich der Verwaltungsgebühren gegeben, insbesondere im Baubereich, da, wahrscheinlich aufgrund gestiegener Kosten und anziehender Zinsen, weniger gebaut und entsprechend weniger Anträge gestellt würden, erklärte Völkel. Auf der Aufwandsseite seien insbesondere Mehraufwendungen bei der Unterhaltung des Infrastrukturvermögens, aber auch bei den Leistungen der Jugendhilfe zu verzeichnen, so Völkel. Hinzu komme die Gewerbesteuerumlage, die analog zu den Einnahmen steigt, während die Schlüsselzuweisungen im gleichen Zug sinken. Der Darlehensstand der Investitionskredite zum Jahresende sei bereits um 5,7 Mio. Euro zurückgeführt worden, 2,2 Mio. weniger als im letzten Jahr, Anfang `24 hinzugekommen ist jedoch ein zusätzlicher investiver Kredit über 6,4 Mio für den Bau des Sesekebades, so dass der Darlehensstand im Bereich der Investitionskredite aktuell bei 37,4 Mio. liegt. In Bezug auf die Entwicklung der Kassenkredite ermahnte Völkel den Rat, den Anblick der Kurve "noch einmal zu genießen". Denn der noch moderate Schuldenstand währe voraussichtlich nicht mehr lange, dafür sorge die steigende Zinsbelastung. Der Bestand der Kassenkredite liege aktuell bei 70 Mio. Euro, die Gesamtverschuldung der Stadt nach einer weiteren Erhöhung seit Endes letzten Jahres bei knapp 113 Mio. Euro. Das Eigenkapital weist einen Stand von 57,1 Mio. Euro aus und schrumpft voraussichtlich bis 2026 weiter. Dann wird eine zusätzliche Gewinnausschüttung seitens der Stadtentwässerung fällig, um nicht auf die Ausgleichsrücklage zurückgreifen zu müssen, die aktuell bei 16,4 Mio. Euro liegt. Eigentlich, so Völkel, wäre in diesem Jahr ein Defizit von 2,4 Mio. Euro fällig gewesen, auf die dreijährige Dauer der Bilanzierungshilfe aufsummiert, wären das schon 13,2 Mio., womit die Ausgleichsrücklage schon mittelfristig weitgehend aufgebraucht wäre.
Die außerordentliche Isolierung der Schäden sei in jedem Fall berechtigt, sie seien schließlich tatsächlich eingetreten, wie SPD-Ratsfraktionsvorsitzender Daniel Heidler betont. Die Erhöhung der Grundsteuer habe sich als eine schmerzhafte, aber notwendige Maßnahme erwiesen, das "Drehen an der Steuerschraube" sei aber nicht unbegrenzt möglich. Die jetzt verbuchte Ausgleichsrücklage sei "Geld, das eigentlich Schulden sind", so Heidler. Immerhin gebe es der Stadt eine Perspektive, bis ins nächste Jahrzehnt ohne Steuererhöhungen auszukommen, sagte Heidler. Sein CDU-Amtskollege Ralf Eisenhardt äußerte sich ähnlich: Auch wenn der Jahresabschluss auf den ersten Blick gut aussehe, seien die eigentlichen Defizite "immens hoch". Mit Ausblick auf die stetig wachsenden kommunalen Aufgaben - allein das Wachstumschancengesetz koste die Stadt jährlich rund eine halbe Mio. Euro - sei die Entscheidung für die Grundsteuererhöhung im Januar richtig gewesen. Als nächstes gelte es, die Möglichkeiten von Einsparungen anzugehen, die im gleichen Zuge beschlossen worden seien. Wenn die Schulden infolge der Bilanzierungshilfe in fünfzig Jahren abgetragen sein werden, werde sich kaum noch jemand daran erinnern, was Corona war, so Eisenhardt. Die Isolierung der Schäden gehe ganz klar auf Kosten der nächsten Generationen, aber: "Es bleibt uns letztlich keine andere Wahl", so Eisenhardt, denn "Gestaltung funktioniert nur mit Geld". Linke-Fraktionsvorsitzender Klaus-Dieter Grosch sieht das anders, seine Fraktion brachte vor der Grundsteuer-Entscheidung eine Alternative im Rat ein, die eine Erhöhung beziehungsweise Modifizierung der Gewerbesteuer vorsah. Letztlich stimmte aber auch die Linke-Fraktion, wie der gesamte Rat, einstimmig für den Entwurf des Jahresabschlusses, der damit an den Rechnungsprüfungsausschuss weitergeleitet wird.
Der städtische Schuldenstand hat sich seit Ende des Abschlussjahres noch einmal auf knapp 113 Mio. Euro erhöht. Grafik: Stadt Kamen